Sensationsjournalismus?

7 07 2005

Meinungsverschiedenheit über die Berichterstattung von BBC und Tagesschau beim Londoner Anschlag.

Kai kritisiert bei Status6 die Idee der BBC, dass Augenzeugen Kommentare, Bilder und Videos einsenden können und überschreibt seinen Artikel mit folgender Überschrift:

Explosionen in London – Notfallplan läuft – Presse trickst

Weiter unten in seinem Text führt er seine Auffassung weiter aus:

Interessant ist, auf welche Art und Weise die Presse versucht, an jede noch so kleine Information zu kommen. Duch den aktivierten „Notfallplan“ gibt es bis auf weiteres eine Sperrzone um die Anschlagsorte – diese gilt ebenso für Pressevertreter. Um trotz dieser Sperre berichten zu können hat der BBC eine Telefonnummer eingerichtet, unter der sich direkt Betroffene zurückrufen lassen können…

Vorhin haben wir noch einmal darüber via Skype gechattet, und Kai denkt, dass es sich bei der BBC-Idee um Sensations-Journalismus handelt. Nebenbei, auch die Tagesschau hatte einen ähnlichen Aufruf gestartet.

Meine Auffassung ist eine andere – Betroffenen, Augenzeugen und Interessierten wird so eine Möglichkeit geboten, ihre Gedanken und Gefühle mit anderen zu teilen, das Grauen verständlicher zu machen. Ein entscheidender Punkt ist auch, dass die Menschen sich freiwillig anderen mitteilen und ihre Geschichte erzählen. Kai hält aber auch das für Sensationsjournalismus.

Ich finde es interessant, hier eine mir so fremde Meinung von einem Freund zu lesen, ich bewerte die Situation ganz anders. Kai als Rettungsdienstler erlebt tagtäglich die „düstere Seite“ des Journalismus von der anderen Seite und ist ganz anders sensibilisiert, dennoch erstaunlich. Was ich schlimm finde, ist die u. a. bei NTV gesehene Methode, Überlebenden ein Mikro vor die Nase zu stellen und einfach draufzuhalten.

Auf die Frage, wie Journalismus solchen Ereignissen denn begegnen soll, hat Kai folgendes geschrieben:

Journalismus hinterfragt, recherchiert und trägt Einzelinformationen zusammen. Ver- und bewertet diese dann, um sie in einem übersichtlichen und verständlichem Ganzen zu präsentieren. Deshalb ist in Situationen wie z. B. diesen Anschlägen heute oder damals in Madrid oder NYC ein „echter Journalismus“ in der Stunde“Null“ gar nicht möglich. In dieser Zeit (Wie heute auf ALLEN Sendern gesehen) wird nur stur „draufgehalten“ und ein wenig „kommentiert“… Es werden Informationen gesucht und gesammelt – was dann daraus gezaubert wird ist wichtig. Aber in der „Stunde Null“ gleich (unkommeniert und ohne Rückfragen) Betroffene Geschichen erzählen zu lassen, führt nur dazu, dass es sieben statt vier Explosonen sind und „werweisswieviele“ Tote und Verletzte…

Mal abgesehen davon, dass die Antwort schwammig ist ;-) halte ich die BBC-Methode für genau das, was Kai fordert – nicht nur stures Draufhalten, sondern recherchieren, Informationen zusammensammeln, Verbindungen schaffen, Netzwerke aufbauen, ein Forum bieten. Diese Meinungen nur grob zu filtern und minimal redaktionell zu bearbeiten, ist ein journalistisches Mittel, dass ich in solchen Fällen ausdrücklich begrüße.

Da auch Medienanstalten nur von normalen Menschen betrieben werden, kann über so eine chaotische Situation wie einen Terroranschlag nur in ganz geringem Maße geordnet berichtet werden. Die gesammelten Eindrücke werden idealerweise im Laufe der Zeit dann zu dem, was Kai oben fordert. Was denken die Mitlesenden?